Kommunikation (2001)

Werner Müller

Ausgezeichnet wird Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, für die Telekommunikations- Überwachungsverordnung (TKÜV).
Laudator.in:
Patrick Goltzsch am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2000.
Patrick Goltzsch, Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG)
Portraitaufnahme von Werner Müller.

Der BigBrotherAward der Kategorie "Kommunikation" geht an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Werner Müller.

Das Ministerium hat unter seiner Leitung federführend die Telekommunikations-Überwachungsverordnung, kurz TKÜV, gestaltet.

Mit der TKÜV werden Betreiber von Telekommunikationsanlagen verpflichtet, auf eigene Kosten Vorkehrungen zur Überwachung der Kommunikation der Teilnehmer zu treffen. Zudem sollen die Betreiber quasi auf Zuruf der ermächtigten Behörden Überwachungsmaßnahmen in Gang setzen. Ein simples Fax - das, wie es aussieht, noch nicht einmal unterschrieben sein muss - von Richter, Staatsanwaltschaft, Polizei, Verfassungsschutz, MAD, BND oder Zoll zwingt die Betreiber zum Handeln. Mit der TKÜV fordert der Staat die Infrastruktur für eine Überwachung auf Knopfdruck. Den Strafverfolgungsbehörden sollen dann unverzüglich sowohl die Inhalte von Mitteilungen als auch die Verkehrsdaten, also wer mit wem kommuniziert hat, zur Verfügung gestellt werden.

Die bis zuletzt vom Ministerium beschworene umfassende Diskussion der Verordnung ist unterblieben. Statt dessen wurde die derzeitige Hysterie um die innere Sicherheit genutzt, die TKÜV vom Bundeskabinett abnicken zu lassen. Das war am Mittwoch. Mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt wird die Verordnung in Kraft treten.

Gründe

Seit 1998 sind die stetig präsentierten Entwürfe zur TKÜV immer wieder Gegenstand heftiger Kritik gewesen. Die Diskussionen stellten dabei meist den Preis der Überwachung, der auf die Betreiber abgewälzt werden soll, ins Zentrum. Für den Big Brother Award sind jedoch andere Momente der TKÜV wesentlich.

Die bisherige Fernmeldeüberwachungsverordnung regelte die Möglichkeiten zum Abhören von Telefongesprächen. Mit der TKÜV werden die Befugnisse der Ermittler in ungeahnter Weise fast auf das gesamte Spektrum technisch vermittelter Kommunikation ausgedehnt. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Sicher ist, dass der Kreis der Betroffenen gerade durch die Möglichkeiten des Internet deutlich ausgedehnt wird. Benutzer eines Chats oder einer Mailing-Liste geraten unversehens ins Visier der Ermittlungsbehörden, wenn sie die gleichen Kanäle oder Listen benutzen, wie eine verdächtige Person.

Da die Betreiber über ihre Vorrichtungen zum Abhören zu Schweigen haben, wird dem Missbrauch der Abhöreinrichtungen Tür und Tor geöffnet. Das Internet liefert täglich Beispiele, wie die Fehler undokumentierter Technik ausgenutzt werden. Es mutet daher naiv an, ausgerechnet an einer so sensitiven Stelle wie den Abhöreinrichtungen den Betreibern einen Maulkorb aufzuzwingen.

Die Ausweitung der Überwachung wird zudem vorgeschrieben, ohne dass eine Erfolgskontrolle vorgesehen wäre. Zwar sollen die Betreiber Statisken führen, aber die dürfen nur der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zugänglich sein. Zahlen zur Überwachung und angeblichen Ermittlungserfolgen kommen nur von den interessierten Stellen.

Letztlich steht der Sinn der TKÜV insgesamt in Frage. Wer sich trotz der Verordnung den Lauschern entziehen möchte, kann das unter den gegebenen Umständen ohne große Mühe erreichen. Durch Verschlüsselung werden die Inhalte von Mitteilungen geschützt. Und zumindest im Internet entzieht die Weiterleitung durch ein Netz von Remailern auch die Verkehrsdaten, also wer mit wem kommuniziert, dem Zugriff der Behörden. Übrig bleibt, was im Telefonbuch steht: Teilnehmer XY hat die Nummer 123456.

Einige fragwürdige Punkte sind aus der TKÜV verschwunden. Dazu gehört auch die Forderung, die Betreiber von Telekommunikationsanlagen sollten verschlüsselte Daten den Behörden generell unverschlüsselt zur Verfügung stellen. Damit wäre ein indirektes Verbot kryptographischer Methoden ausgesprochen worden. Nun müssen Betreiber "nur" eine Hintertür für die von ihnen selbst angebotenen Verschlüsselungsdienste vorsehen. Den 1999 von der Bundesregierung verkündeten "Eckpunkten der deutschen Kryptopolitik" entspricht diese Vorschrift nicht. Es bleibt daher abzuwarten, was die noch ausstehende technische Richtlinie zur TKÜV an Überraschungen bereithalten wird.

Die TKÜV ist kein nationales Gewächs. Sie entspringt dem Geist der in vielen Punkten fast gleichlautenden Enfopol-Papiere, mit der die Ermittlungsbehörden ihre Überwachungsspielräume auf europäischer Ebene erweitern wollen. Zugleich nimmt sie verschiedene Forderungen der im November anstehenden Cybercrime Konvention der EU vorweg. Dazu gehört etwa die Verpflichtung, Überwachungsmaßnahmen unverzüglich in die Wege leiten zu können.

Die Forderung nach einem starken Staat lässt sich hier aus verschiedenen Richtungen hören. Nur er könne die Bürger angemessen schützen. Doch der Staat schränkt mit Enfopol, Cybercrime Konvention und TKÜV wesentliche Freiheiten ein. Er schafft ein Klima der Verunsicherung, das noch keiner Demokratie gut bekommen ist und schwächt sich damit letztlich selbst. In diesem Sinne macht die TKÜV den Schutz der eigenen Kommunikation zur Bürgerpflicht.

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Patrick Goltzsch am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2000.
Patrick Goltzsch, Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG)
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