Politik (2007)

Peer Steinbrück

Eine Nummer für jeden Menschen, mit der von der Wiege bis zur Bahre alle Verwaltungsvorgänge eindeutig einer Person zugeordnet werden können. Klingt vielleicht praktisch, ist aber 1969 vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages für verfassungswidrig erklärt worden. Kein Grund für den heutigen Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, von der Idee abzulassen. Dafür gibt es den BBA 2007 in der Kategorie „Politik“.
Laudator.in:
Werner Hülsmann am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2004.
Werner Hülsmann, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)

Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie „Politik“ geht an den Bundesminister der Finanzen, Herrn Peer Steinbrück, für die Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland. Diese Steuer-ID gilt von der Geburt bis über den Tod hinaus. Um diese Steuer-ID erstellen und zuteilen zu können, übermitteln alle Meldebehörden in der Bundesrepublik Deutschland dem Bundeszentralamt für Steuern Daten aller in ihrem Zuständigkeitsbereich im Melderegister registrierten Einwohnerinnen und Einwohner.

Das Bundeszentralamt für Steuern teilt der zuständigen Meldebehörde anschließend die dem Steuerpflichtigen zugeteilte Identifikationsnummer zur Speicherung im Melderegister mit. Zukünftig müssen die Meldebehörden dann jede registrierte Geburt sowie Änderungen der bereits übermittelten Daten mitteilen.

Begründet wird die Einführung der Steuer-ID mit dem Erfordernis, “eine eindeutige Identifizierung des Steuerpflichtigen in Besteuerungsverfahren“ zu ermöglichen. Genau dies ist aber die Funktion eines verfassungswidrigen Personenkennzeichens (PKZ). Bereits 1969 erklärte das Bundesverfassungsgericht im Mikrozensusurteil: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren“.

Schon einmal war geplant, mit dem Bundesmeldegesetz eine einheitliche Personenkennziffer für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland einzuführen, um Verwaltungsvorgänge zu rationalisieren. Damals - vor 31 Jahren - hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages – mit Blick auf das Mikrozensus-Urteil – festgestellt, dass „die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Nummerierungssystemen, die eine einheitliche Nummerierung der Bevölkerung im Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglicht, unzulässig ist", und das Vorhaben wurde verworfen.

2003 hatte der Rechtsausschuss des Bundestages leider keine Einwände mehr gegen eine Personenkennziffer, kurz PKZ, die nunmehr Steuer-Identifikationsnummer heißt. So heißt es nun im § 6 Absatz 1 der Abgabenordnung:

„Zum Zwecke der erstmaligen Zuteilung der Identifikationsnummer übermitteln die Meldebehörden dem Bundeszentralamt für Steuern für jeden in ihrem Zuständigkeitsbereich mit alleiniger Wohnung oder Hauptwohnung im Melderegister registrierten Einwohner folgende Daten:

  1. Familienname (mit Namensbestandteilen)
  2. frühere Namen
  3. Vornamen
  4. Doktorgrad
  5. Ordensnamen/Künstlernamen
  6. Tag und Ort der Geburt
  7. Geschlecht
  8. gegenwärtige Anschrift der alleinigen Wohnung oder der Hauptwohnung“

Das Bundeszentralamt für Steuern speichert diese Daten zu allen Einwohnerinnen und Einwohnern ergänzt um die Steuer-ID, das zuständige Finanzamt und den Todestag. In den „Genuss“ einer Steuer-ID kommen auch alle Neugeborenen. Dies begründet das Bundesfinanzministerium wie folgt:

„Nach dem Einkommensteuergesetz sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, bereits mit der Geburt einkommensteuerpflichtig. Zwar werden diese Steuerpflichtigen im Regelfall noch keine Einkommensteuer schulden, dennoch kommen derartige Konstellationen vor (z.B. bei Kapitalerträgen, die Kinder aus ererbten Vermögen erzielen). Ohne die IdNr. wären solche Fälle nur schwer feststellbar, da die Finanzämter auf Grund der fehlenden steuerlichen Erfassung keine Informationen über den Steuerschuldner hätten.“

Die Steuer-ID bleibt den Einwohnern und Einwohnerinnen ihr Leben lang erhalten, egal ob sie heiraten, ihren Namen ändern, umziehen, ihr Geschlecht umwandeln oder sterben: Deine Steuer-ID verlässt Dich nicht! Sie bleibt sogar noch 20 Jahre nach dem Tod erhalten.

Zwar ist in der Abgabenordnung (AO) festgelegt, dass die Steuer-ID nur für die in der AO festgelegten Zwecke genutzt werden darf: Zum Einen enthält die Aufzählung der Zwecke die Öffnungsklausel: „den Finanzbehörden die Erfüllung der ihnen durch Rechtsvorschrift zugewiesenen Aufgaben zu ermöglichen.“ Sobald also die Aufgaben erweitert werden, erhält auch die Steuer-ID neue Bedeutungen. Das darf nicht sein, hier müsste genauer definiert werden! Zum Anderen zeigt die Erfahrung, dass auf Dauer alleine die rechtliche Verhinderung von weiteren Nutzungsmöglichkeiten nicht ausreicht, da Gesetze den steigenden Bedürfnissen von Behörden oder der Wirtschaft angepasst werden können. Hinzu kommt, dass nur der „ordnungswidrig handelt, wer [die Steueridentifkationsnummer] als nicht öffentliche Stelle [Hervorhebung durch BBA-Jury] vorsätzlich oder leichtfertig (…) für andere als die zugelassenen Zwecke erhebt oder verwendet, oder (…) seine Dateien nach der Identifikationsnummer für andere als die zugelassenen Zwecke ordnet oder für den Zugriff erschließt.“ Die missbräuchliche Nutzung der Steuer-ID durch öffentliche Stellen wird also nicht geahndet!

Die Schlinge des Staates um den Bürger zieht sich immer weiter zu, wenn zusätzlich zur Identifikation per Biometrie und Kameras auch noch die finanziellen Transaktionen direkt mit einer Person verknüpft werden können. Diese technischen Verknüpfungsmöglichkeiten wecken sicherlich Begehrlichkeiten, die über kurz oder lang dazu führen werden, dass die Liste der zulässigen Zwecke, zu denen die Steuer-ID genutzt werden darf, lang und länger werden wird.

Herzlichen Glückwünsch zum BigBrotherAward, Herr Bundesfinanzminister Peer Steinbrück!

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Werner Hülsmann am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2004.
Werner Hülsmann, Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF)

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.