Verbraucherschutz (2002)

Deutsche Post

Die Preisvergabe erfolgt wegen des datenschutzwidrigen Umgangs mit Nachsendeanträgen an die Deutsche Post AG.
Laudator.in:
padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage

Der BigBrotherAward der Kategorie "Verbraucherschutz" geht an die Deutsche Post AG wegen ihres datenschutzwidrigen Umgangs mit Adressangaben aus den Post-Nachsende-Anträgen.

Gründe

Die Deutsche Post AG bietet ihren Kunden im Fall eines Wohnungswechsels an, mit alter Anschrift adressierte Sendungen an die neue Anschrift weiterzusenden. Dies ist sehr sinnvoll. Im Rahmen dieses Nachsendeauftrages wird vom Kunden formularmäßig dessen Einverständnis eingeholt, dass "diese dauerhafte Anschriftenänderung denjenigen, die die alte Anschrift bereits kennen, zur Adressaktualisierung zur Verfügung (gestellt wird), damit möglichst viele zukünftige Postsendungen sofort die neue Anschrift erhalten". Zum Beispiel sendet der FoeBuD Einladungen zu den BigBrotherAwards an Adressen von Menschgen, die diese Einladungen haben wollen. Ist jemand umgezogen, schickt die Post dem FoeBuD e.V. die neue Anschrift, damit wir die Adressdaten in unserer Adress-Kartei korrigieren können. Hat jemand der Weitergabe der neuen Anschrift widersprochen, bekommen wir die neue Anschrift - natürlich - nicht.

Statt den Postkunden aber eine richtige Wahlmöglichkeit z.B. per Ankreuzen zu eröffnen, müssen sie, wenn sie ihre neue Anschrift gegenüber Anderen geheimhalten wollen, diese - sprachlich leicht missglückte - vorformulierte Erklärung streichen. Dies führt dazu, dass nur 8% auf ihrem Nachsendeantrag einer Datenweitergabe widersprechen. Würde dagegen eine aktive und bewusste Einwilligungserklärung eingeholt, so hätte die Post für die Datenweitergabe eine erheblich niedrigere Akzeptanz und entsprechend weniger Möglichkeiten zur lukrativen Vermarktung der Umzugsdaten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz berichtet von vielen Beschwerden, die darauf zurückzuführen sind, dass die Betroffenen von ihrer Einwilligung zur Datenweitergabe keine Ahnung hatten.

Wer nun meint, mit dem Streichen seiner Einwilligungserklärung eindeutig seinen Willen zum Ausdruck gebracht zu haben, der wird dadurch überrascht, dass er (wie uns jüngst mitgeteilt worden ist) von der Deutschen Post AG mit dem Hinweis angeschrieben wird, dass bei Bezug einer Zeitschrift über die Deutsche Post diese nicht mehr an die neue Adresse gesendet werden könne. Um zu verhindern, dass ein Zeitschriftenverlag die neue Adresse erhält, müsse der Postkunde eine Karte zurücksenden "entsprechend ausgefüllt und unterschrieben innerhalb von 10 Werktagen nach Erhalt dieses Schreibens". Anderenfalls werde - obwohl die Einwilligung zur Datenweitergabe schon ausdrücklich verweigert wurde - die Adresse an den Verlag weitergegeben. Diese Aufforderung ergeht auch dann, wenn ein Postkunde überhaupt keine Zeitschrift abonniert hat, oder wenn er den Verlag schon selbst über den Adresswechsel informiert hatte.

Aber damit nicht genug der Missachtung des Willens ihrer Kunden: Es wird nigendwo auf dem Formular erwähnt und auch in der vorgegebenen "Einwilligungserklärung" ist es nicht vorgesehen, dass Lizenznehmer im deutschen Postmarkt die geänderten Daten unter Verweis auf § 29 Abs. 2 PostG von der Post gegen Entgelt zur Verfügung gestellt bekommen müssen. Und das auch, wenn der Kunde explizite der Weitergabe widersprochen hat.

Außerdem: Wer meint, letztendlich blieben die Daten bei der Deutschen Post AG insgesamt in guten Händen, der sieht sich abermals getäuscht: Tatsächlich bedient sich die Post AG für die Durchführung des Nachsendeverfahrens der Deutschen Post Adress GmbH, einer gemeinsamen Tochter mit der Bertelsmann AG Gütersloh. Die Deutsche Post Adress bietet unter Zuhilfenahme eines Dienstleisters mit dem Namen Pan Adress im Internet den Adressabgleich mit Lieferung der neuen Adresse im Dialogbetrieb an, für Euro 2,40 bei erfolgreicher und für Euro 0,14 für die erfolglose Suchanfrage. Ab 1 Million Adressen ist auch eine "Inhouse-Lösung" beim Nutzenden selbst möglich: Werbeslogan: "ganz gleich, ob sie über 1 Millionen Adressen auf den neuesten Stand bringen wollen oder um 5 Uhr morgens eine einzige abfragen, bei unserer Umzugsdatenbank sind sie an der richtigen Adresse." 14-tägliche Updates mit etwa 6,5 Mio. Adressen oder quartalsweise Updates mit ca. 13 Mio. Adressen werden auch gegen gutes Geld zum Zweck der CD-ROM-Recherche Anfragenden nach Hause geschickt.

Firmen, die solche Dienstleistungen nutzen dürfen sich, wenn sie die Daten nicht im eigenen Haus bearbeiten wollen - z.B. bei Großaufträgen - eines Auftragsdatenverarbeiters bedienen, so dass nochmals eine weitere Firma Zugang zu den zweckgebundenen Daten erhält.

Liest man die Liste der Vertriebspartner - Werbeslogan: "gute Adressen, gute Vertriebspartner" - der Umzugsdatenbank, so scheint diese identisch zu sein mit dem "who is who" des Adressenhandels: SAZ Garbsen, AZ Bertelsmann Gütersloh, Merkur Einbeck, Deutsche Post Direkt Bonn, Schober Ditzingen, Prodata Karlsruhe, pan-adress Planegg und viele andere mehr. Noch besser ist es, mit der Adresssuche die Fa. Adress Research zu beauftragen, denn diese hat ihren Sitz an der gleichen Adresse wie die Post Adress (Schalückstr. 38, 3332 Gütersloh). Die Deutsche Post AG beauftragt eine Post Adress GmbH, ein Nutzer beauftragt eine Firma Adress Research. Und die beiden Firmen, die da im Auftrag Verträge über Daten anderer Menschen miteinander schließen, sind de facto die gleiche Firma. Für die Betroffenen die zu all dem angeblich ihre Einwilligung erteilt haben, bleibt dies alles im Dunkeln.

Der Glaube, dass diese Daten nur im Fall einer bestehenden Kundenbeziehung zur Verfügung gestellt würden, wird schon durch die Lektüre der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post Adress zerstört: Dort soll für die Datennutzung schon ein "berechtigtes Interesse" genügen. Als Beispiel für solch ein "berechtigtes Interesse" wird jemand genannt, der "zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dieser Person verfolgt", egal ob zu Recht oder zu Unrecht. Der Nutzer muss sein "berechtigtes Interesse" nur behaupten, eine Prüfung erfolgt nicht. Eine allzu strenge Prüfung wäre für die Post auch geschäftsschädigend, verdient sie doch mit den Umzugsdaten um so mehr Geld, je mehr diese von Dritten abgefragt werden. So ist es auch kein Wunder, dass die Post anbietet, ohne weitere Prüfung den Internet-Zugangscode zu den Daten nach Anerkennung der Zahlungsbedingungen zuzusenden, und zwar "postwendend". Das "berechtigte Interesse" muss nicht einmal das eigene sein. Rechtsanwälte, Ärzte oder Steuerberater dürfen selbst für ihre Kunden bzw. Mandanten die Umzugsdatenbank anzapfen, wobei dann der Rechtsanwalt "dafür einsteht", dass mit diesen Daten kein Unfug geschieht. So kann es auf vielerlei Wegen auch heute noch passieren, dass die Umzugsdaten zur Pflege von Direktmarketing-Beständen genutzt werden oder in die Hände persönlicher Feinde geraten.

Schon im Jahr 2001 war die Deutsche Post AG wegen ihres Umzugsservices für den Big Brother Award nominiert worden, als sie noch nicht ihre aktuelle Widerspruchskarten-Aktion gestartet hatte. Um eine Stellungnahme gebeten, verwies die Deutsche Post AG auf die Einwilligung zur Datenweitergabe und darauf, dass das Nachsende- und das Adressaktualisierungs-Verfahren mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz abgestimmt seien.

Liest man dagegen die Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten, so gibt es wenig Grund zu Euphorie. Im Gegenteil: Man findet, dass die Post Adress GmbH dort durchaus negativ aufgefallen ist. Der Bundesdatenschutzbeauftragte kreierte in Anlehnung an das Wort "Geldwäsche" für diese Direktwerber-Gemengelage das Wort "Adressenwäsche".

In seinem 16. Tätigkeitsbericht stellte der dar, dass die Deutsche Post Adress GmbH die aktualisierten Daten nicht nur zur Korrektur von Kundenanschriften verwendete, sondern auch zur Aktualisierung von Adressmaterial von Adressenhändlern. Entgegen der eindeutigen Zweckbindung hatte die Deutsche Post Adress GmbH nach Ablauf des Nachsendezeitraums die Adressdaten für die Zusendung von Direktwerbung für andere Firmen im Rahmen des sog. Listbroking selbst verwendet. In einem Fall nutzte die Post-Bertelsmann-Tochter die Umzugsdaten gar für eine Werbeaktion einer Lottogesellschaft mit der Folge, dass selbst Minderjährige hierüber zum für sie unzulässigen Glücksspiel aufgefordert wurden.

Selbst wenn die Post wirklich die Vorschrift "Neue Adresse nur gegen die alte Adresse" ernst nimmt, gäbe es einen Schutz gegen die Werbeflut gäbe es nur, wenn die Firma, die die neue Anschrift bekommt, diese niemals für Werbezwecke weiter geben würde.

Tatsächlich benutzen die Unternehmen ihre aktualisierten Kundendaten dafür, um sie für teures Geld Drittfirmen für Werbezwecke zur Verfügung zu stellen.

  • Spätestens seit dem In-Kraft-Treten der Europäischen Datenschutzrichtlinie von 1995 muss gewährleistet sein, dass die betroffene Person ihre Einwilligung "ohne jeden Zweifel gegeben hat".
  • Schon seit Jahren verlangt das Bundesdatenschutzgesetz, dass Einwilligungserklärungen im Erscheinungsbild "hervorzuheben" sind.

Und dennoch beschafft sich die Deutsche Post AG unter Missachtung dieser Grundsätze bis heute täglich Tausende von neuen Daten, nicht nur, um Post korrekt zuzustellen, sondern auch, um mit diesen Daten zu handeln. Das Ganze erfolgt mit einem Text, der nicht ansatzweise eine Zweckbegrenzung enthält und dessen Beachtung nicht gewährleistet ist. Dass selbst der erklärte ablehnende Wille der Kunden keine Geltung haben soll, ist die Krönung des egoistischen Paternalismus der Deutschen Post AG.

Ihr ist dabei wohl nicht klar, was sie bei einzelnen Betroffenen anrichtet: Bezüglich. der Erreichbarkeit sind Menschen auf die Post und im Fall des Umzugs auf den Nachsendeservice angewiesen. Auch die Adresse kann ein sensibles Datum sein. "Unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung gibt es kein belangloses Datum mehr" (BVerfG NJW 1984, 422). Immer wieder wollen sich Menschen durch einen Umzug Belästigungen oder gar Bedrohungen entziehen, die zum Beipiel von einem gewalttätigen Ex-Partner ausgehen. Es ist nicht nur datenschutzrechtlich, sondern auch moralisch ein Unding, wie der Wunsch "in Ruhe gelassen zu werden" von der Post AG mit ihrer Umzugsdatenbank sabotiert wird. Dafür erhält sie den Big Brother Award 2002 im Bereich "Verbraucherschutz".

Herzlichen Glückwunsch Deutsche Post AG.

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Laudator.in

padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.